Archiv: Mizzis Geburtstag
Ich habe soeben meiner Cousine Reante zum 90 jaehrigen Geburtstag gratuliert. Sie erzaehlte mir, dass ihre Mutter zu ihrem 90. Geburtstag von meiner Mutter ein kleines Buechlein bekommen habe, das das allernetteste Geburtstagsgeschenk war. Ich bat sie, mir wieder eine Kopie von dem Buechlein zuzusenden, das ich seinerzeit mit meiner Mutter verfasste .
Hier eine paar Auszuege::
Liebe Mizzi!
Ich weiss, dass Du im Februar Deinen 90. Geburtstag hast. Aber ich weiss das Datum nicht. Darum will ich Dir jetzt schon gratulieren. Ich will versuchen, Dir eine Schilderung vieler Erlebnisse, die ich mit Dir hatte, zu geben und hoffe, Dir damit eine Freude zu machen.
….Das war gewiss ein sehr trauriger Tag, von dem ich nun berichten will. Es war der Tag, an dem uns unser Vater den Tod der Mama sagte: und dass sie nicht mehr zu uns kommen wuerde. Du bandest mir am Morgen eine grosse schwarze Schmetterlingsmasche ins Haar. Aber ich verstand nicht warum und wollte sie nicht haben und war boese auf Dich. Es waren viele Leute im Zimmer. Papa ging mit Bubi und mir dann in ein anderes Zimmer, wo er uns die traurige Nachricht sagte. Wir knieten nieder und beteten gemeinsam. Die Tragweite des Geschehens verstand ich damals noch nicht.
…Wahrscheinlich war es an dem Weihnachtsfest des gleichen Jahres. Dich persoenlich sehe ich nicht, aber das, was Du wohl auf die Bitte von Papa fuer mich gemacht hattest. Es war ein weisses Gestell, ich wuerde es heute Paravan nennen. Es war mehrteilig aufstellbar und umschloss eine beachtliche Flaeche. Aber das war ja bei der Groesse unserer Zimmer bedeutungslos. Bezogen war der Paravan mit mit rosafarbenen Vohaengen. Innen stand ein weisses Puppenbett, geeignet fuer die grosse Babypuppe, mit Matratze und Federbett. Dann gab es einen weissen Kleiderschrank mit Aufhaengern drin fuer die Puppenkleider. Dann war da noch ein weisser runder Tisch und zwei weisse Puppenstuehlchen und noch ein weisses Gitterbett. Es war Platz fuer die beiden Kaethe Kruse Puppen und fuer ein kleines Negerpueppchen. Wunderschoen war alles ausgedacht und angefertigt. Und trotzdem freute ich mich nicht darueber, nicht so, wie Ihr wohl erwartet hattet. Es war mir einfach zu gross. Ich hatte auch keine Freundin, mit der ich spielen haette koennen. Lieber war mir das mehrstoeckige Puppenhaus mit den kleinen Puppen und den vielen Puppenkleidern in dem Stollwerkkoffer.
…. Und dann sehe ich Dich jahrelang nicht mehr. Der boese Krieg hat alles zunichte gemacht. Du lebtest mit Edi, Renate, Opa und Oma in Marburg. Neurohlau war verkauft worden. Ich war mit Erika zurueckgekehrt und wohnte im kleinen Haus im Hopfenstock. Das Hotel war Lazarett geworden.
Eines Tages traf unerwartet Oma ein. Opa war gestorben und eine Bombe hatte Deinen Wohnung in Marburg total zerstoert. So kam Oma als erster Fluechtling an. Sie konnte ein Zimmerchen ueber meiner Wohnung im Dachgeschoss beziehen. Weil ich damals in Pirkenhammer als Lehrerin taetig war, uebernahm sie die Kocherei und versorgte unsere Kaninchen und Huehner, die im Salettl im Hinterhof ihr Domizil
hatten. Immer wenn Oma Liwanzen machte, gabs Fliegeralarm. Das wussten wir. Und Erika trieb die gesamte Hausbewohnerschaft mit viel Laerm in den Luftschutzkeller.
Als naechster Fluechtling trafst Du ein. Du hattest Arges erlebt, warst aber ungebrochen. Das Leben ging weiter und Du fuegtest Dich ein, so gut es ging. Die vielen sorgenvollen Stunden, die wir alle hatten, sind mir nicht in Erinnerung geblieben.
….Ich erinnere mich an ein heiteres Erlebnis mit Dir, das auf die damalige Notzeit ein Bild wirft. Wir sollten vom oberen Bahnhof Kohlen holen. Es war im Winter und Schnee lag auf der Strasse. Auf unserem Handschlitten wurden uns Kohlensaecke geladen und wir zogen los. Es war ein weiter Weg, der vor uns lag. Anfangs ging es recht gut, denn die Strasse war abschuessig und mit Schnee bedeckt. Dann kam ein gerades Stueck, das unsere Kraft schon sehr beanspruchte. Aber es kam noch aerger. Gegenueber der Muehlbrunnkollonade war der Schnee durch das heisse, unterirdisch fliessende Wasser voellig abgetaut. Wir zogen und schoben, aber es war erfolglos. Da kam ein Bauer mit seinem Pferdeschlitten daher. Vorne war ein mageres, weiss-schwarzes Pferdchen angespannt. Der kam uns gerade recht! Irgendwie gelang es uns, unseren Schlitten and den Bauernschlitten anzukoppeln. Das brave Tierchen bemuehte sich das Gesapnn ueber die trockene Stelle zu bringen. Es waere ihm auch gelungen, wenn wir unseren schweren Schlitten nicht hinten dran gehaengt haetten. Vor Anstrengung bekam das Pferdchen direkt O-Beine. Aber es war zu viel des Guten. Das Tierchen blieb stehen und wandte seinen Kopf zurueck. Ich werde nie den erstaunten, schiefen Blick des Pferdchens vergessen, mit dem es uns seine Missbilligung zeigte. Der Bauer schimpfte und drohte uns mit der Peitsche. So mussten wir abhaengen.
Noch eine Erinnerung, die vermutlich in diese Zeit faellt.
Ich sehe Dich mit mir einen Besuch bei der Mutter von der Winiie Markus machen. Sie wohnte in einem Mietshaus in der Naehe des unteren Bahnhofs. Sie hatte eine geraeumige Wohnung und zeigte uns voll Stolz das Schlafzimmer ihrer Tochter Winnie. Es bestand aus weissen Schleiflackmoebeln und ich fand es unmoeglich kitschig fuer ein erwachsenes Maedchen, wohl in Erinnerung an mein weisses Puppenzimmer, von dem ich schon berichtet habe.
Ja, weil ich gerade vom unteren Bahnhof sprach: Dort fiel eine Bombe auf einen Gueterzug, der mit Zucker beladen war und Du und ich holten braunen, halbverbrannten Zucker. Das war natuerlich verboten, aber wir scherten uns nicht drum.